Montag, 4. April 2011

Ein offener Brief an Frau Aigner und an Sie, liebe Blog-Leser: Warum wir endlich eine Stärkung der Honorarberatung brauchen

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Aigner, sehr geehrte Leser,

Heute las ich im Handelsblatt, dass Sie, Frau Aigner, finden, dass die Flut der komplexen Finanzprodukte zu groß sei.
Ja, ich finde auch, es gibt eine Fülle von Produkten in der Finanzwelt und ja, ich halte auch viele für überflüssig. Das ist Ihnen, meinen regelmäßige Leser, ja bekannt. Aber lassen wir doch die Produkte mal Produkte sein. Würde keiner sie an Anleger „verkloppen“, wenn sie ungeeignet sind, dann würde sich die Fülle der Produkte von selbst regulieren. Es würden die Produkte bleiben, die von guten Beratern und aufgeklärten Anlegern nachgefragt würden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel:

Ich halte mich persönlich für eine aufgeklärte Anlegerin, die ab und zu mal ein bisschen spekuliert. Wenn ich der Meinung bin, ich möchte mit einem 3-fach Hebel auf einen fallenden DAX spekulieren, weiß ich genau, was passieren kann. Wenn ich falsch liege, ist mein Geld weg. Ohne Produkte wie Mini-Shorts und Mini-Longs könnte ich meine Meinung gar nicht in Produkte fassen. Gut, dass es sie gibt, Frau Aigner. Das Produkt mag kompliziert sein, aber ich kann damit umgehen. Das hohe Verlustrisiko, das Sie, Frau Aigner, kritisieren, schreckt mich nicht, weil meine Investitionssumme meinen Möglichkeiten angepasst ist.

Mein Vorschlag wäre ein ganz anderer: Würden Kunden ehrlich beraten, und die Beratung auch entlohnt werden, dann würden viele Berater wohl niemals zu Empfehlungen von komplizierten Wenn-Dann-Falls-Obwohl-Zertifikaten greifen. Sie würden gut beraten, dabei verdienen, und sicher sein, dass der Mandant wieder kommt, wenn es eine neue Frage gibt. Würde darauf verzichtet, Depots systematisch zu drehen, um Geschäft zu generieren, weil gerade die Summe X von einem Zertifikat oder Fonds untergebracht werden muss, würden Anleger Vertrauen zum Berater aufbauen können. Würden Berater lange Zeit am selben Platz beraten, könnten sie zeigen, dass sich faire Beratung auch in Geschäft umsetzt. Nach meiner über 10-jährigen Erfahrung sind die meisten Anleger bereit zu zahlen, aber sie sind nicht – mehr - bereit, sich für dumm verkaufen zu lassen.

Das Problem, liebe Frau Aigner, sind nicht die Produkte, es sind die Berater und deren Chefs, die Fehlanreize durch Provisionen, die Verkaufstrainer, die lehren, wie man Einwände wegwischt, die mangelnde Geldbildung in der Bevölkerung, die Gier der Anleger. Kurz – es ist in den letzten Jahrzehnten irgendwas schiefgelaufen und die Produkte sind nur das Symptom. Es wäre wünschenswert, wenn die Ursachen bekämpft würden. Wenn gute Beratung etwas zählen würde, statt erfolgreiche Lobbyarbeit. Wenn hochrangige Politiker den Anstand hätten, sich von dubiosen Unternehmen mit dubiosen Verkaufsmaschen zu distanzieren.

Ich wundere mich immer wieder, wie Sie und Ihre Kollegen, sehr geehrte Frau Aigner, im Jahr drei nach der Finanzmarktkrise immer noch keine Regelung, keine Stärkung für Honorarberater schaffen konnten. Ich kenne all die Diskussionen zwischen den Ministerien, sofern sie nach draußen dringen. Ich habe Ihr Ministerium mit Ihrem Staatssekretär besucht, diskutiert, an alle Parteien geschrieben. Die einzelnen Personen schienen meistens zu verstehen. Aber wenn ich solche Artikel lese, bezweifle ich, dass sich jemals etwas ändern wird. Selbstverständlich würde ich gerne jederzeit persönlich mit Ihnen, Frau Aigner, sprechen.

Wenn man Mandanten nur auf Zeithonorar berät, hat man nur eine Chance im Markt. Man muss ehrlich, anständig, pünktlich und zuverlässig sein. Die Mandanten müssen merken, dass man kein Interesse hat, irgendwas zu verkaufen. Sie müssen sicher sein, dass die Zeiten korrekt notiert werden. Natürlich müssen Honorarberater gut gebildet sein und querdenken können. Leistet man das alles nicht, kommen die Mandanten sicher nicht wieder. Honorarberater hätten die beste Chance Anlegerdepots in ruhigere Fahrwasser zu bringen, von der x-ten Lebensversicherung abzuraten und die Menschen zu motivieren, sich selbst mehr zu kümmern. Ich glaube, Honorarberater könnten immense Schäden verhindern.

Und noch etwas, sehr geehrte Frau Aigner: Ich verstehe nicht, warum man Kosten für die Putzfrau und Handwerker von der Steuer absetzen kann, aber keine Honorare für Finanzberater. Sind Honorarberater weniger wert und weniger wichtig?

Ich verstehe so vieles nicht in unserem Land. Das ist schade. Ich werde im nächsten Blog mal alles aufschreiben, was ich nicht verstehe. Vielleicht können Sie, liebe Leser, mir weiterhelfen.

Frühlingshafte Grüße
Ihre Stefanie Kühn